Horizontals

TB XXII, 2021 Öl/ Leinwand 150 x 250cm

                                                                                        TB XVIII, 2021  Öl/ Leinwand  85 x 125cm

TB XV, 2019/2020.  Öl/ Leinwand    120 x 300cm

TB XII, 2018   Öl/ Leinwand   120 x 300cm

TB XI, 2017 Öl/ Leinwand  120 x 300cm

Auszüge aus 

Landschaft als Gestalt
Katharina Worring im Gespräch mit Professor Robert Kudielka *

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Robert Kudielka: ...............Wahrscheinlich war Corot der Erfinder des intérieur forêt, des ausblicklosen „Waldinnenraums“, der als Motiv die plein air-Maler bis hin zu Cézanne beschäftigt hat. Pissarro, der große Verehrer Corots, hat dann die Gestaltung von Nicht- Sujets, von Motiven ohne Aus- und Überblick, geradezu zur Disziplin erhoben. Eines seiner populärsten Werke ist das Bild des Küchengartens in Pontoise. Ein akademischer Maler der damaligen Zeit hätte zu diesem Bild gesagt: „Entweder wolltest Du das Haus auf dem Hügel darstellen oder den großen blühenden Baum davor. So aber hast Du den Anblick des Hauses durch den Baum verdorben und uns um die Schönheit des Baumes gebracht, indem einige seiner Blütenzweige so eng mit dem dahinterliegenden Dach des Hauses in Verbindung treten, dass man meinen könnte, Rauch trete aus den Kaminen.“ Das Aufbrechen der klassischen Landschaftsvedute war eine Provokation, weil es mit einem Schlag bewusst machte, dass Landschaft kein Raum ist, der sich uns gegenüber befindet, sozusagen vor unseren Füßen beginnt. Wir befinden uns vielmehr mit den Dingen, die uns den Durchblick teils erlauben, teils verwehren, in ein und demselben Raum. Die Bewegung im Raum und der damit einhergehende Wechsel der Ansichten scheint daher eine wesentlichere Raumerfahrung zu sein als die statische Projektion von einem festen Standort aus. 

Katharina Worring: Durch Fahren, durch Bewegung erfährt man Landschaft ganz anders als von diesem Blickpunkt außerhalb in einen großen Raum hinein. Diese Veränderung hat etwas mit dem modernen Sehen und der Mobilität zu tun. Das Fahren oder Wandern durch die Eifel oder eine andere Landschaft wird für mich zur Landschafts- Erinnerung. Manchmal denke ich, so sehr das der Beschaulichkeit widerspricht, dass man Landschaften am besten erfährt, indem man durchfährt. Ich bin nie eine plein air- Malerin gewesen, ich habe mich noch nicht mal irgendwo hingesetzt und Skizzen gemacht. Die Bilder entstehen aus der Erinnerung und es ist tatsächlich so, dass dieses In-der- Landschaft-Sein das Entscheidende ist. Auf dem Bild tauchen Charakteristika einer Landschaft auf, aber es ist keine Abbildung damit gemeint. Die Frage ist eher, was kann man aus einem landschaftlichen Raum in den Bildraum übertragen. Der Küchengarten ist mir sehr sympathisch. 

Robert Kudielka: Die Bilder der Impressionisten haben zunächst schockiert, weil sie die zur Konvention gewordene Erwartung enttäuschten, dass Bilder uns die Natur als eine vom Menschen abgehobene Außenwelt gegenüberstellen. Das schöne deutsche Wort „Gegenstand“, das Kant zu Ehren gebracht hat und in seiner buchstäblichen Einfachheit in keine andere Sprache zu übersetzen ist, hilft, das Problem zu präzisieren. In unserer Alltagserfahrung gibt es die „gegenständliche“ Konstellation nämlich nur im Ausnahmefall, wenn wir uns aus Lust oder Not in einer bestimmten Situation bewusst als Gegenüber verhalten: z. B. in der Natur vor einem An- bzw. Ausblick innehalten oder im Stadtraum an einem Fußgängerüberweg auf den Wechsel der Ampel warten. Dann verhalten wir uns zu einem „Gegenstand“.  Ansonsten bewegen wir uns in einem Strom von Wahrnehmungen, die sich in Raum und Zeit überlagern, aneinander reiben, verdichten und verflüchtigen und so die Erfahrung von natürlicher und künstlicher Landschaft ausmachen. Das größte, aus mehreren Tafeln bestehende Bild in dieser Ausstellung  hat mich an zwei Selbstzeugnisse von Mondrian erinnert, die erst sehr spät, wenn überhaupt, von der Kunstwissenschaft wahrgenommen worden sind, weil sie für die orthodoxe Interpretation bedenklich „unrein“ – oder nach unserer anfänglichen Überlegung schlicht „unfein“ – sind. Im Jahre 1920, also genau zu dem Zeitpunkt, als der Großmeister der Abstraktion zu seinem bekannten Bildtyp fand, hat er zwei kleine Texte geschrieben, „Les Grands Boulevards“ und „Kleines Restaurant – Palmsonntag“ in denen er mit den Mitteln von Staccato-Sätzen und der Lautmalerei jene dynamische Großstadtwirklichkeit zu evozieren sucht, die gegenständlich nicht mehr zu fassen ist. Das ist „noch nicht Kunst“, betont er, aber offensichtlich ein wichtiges Stimulans seines ungegenständlichen, wie er sagt, „Realismus“ gewesen. 

Katharina Worring: Ich hab eine vergleichbare Erfahrung gemacht. An Fotografie hatte ich persönlich nie ein künstlerisches Interesse. Seitdem es digitale Kameras gibt, habe ich jedoch versucht, bestimmte Situationen, eben auch Landschaften, zu memorieren. Meine Fotos waren aber nie die Fotos dessen, was ich gesehen hatte. Sie waren immer genau einen Moment zu spät, ich habe nie das aufnehmen können, was ich wollte. Das Zerstückelte, was Sie gerade beschrieben haben, ist ja so ein Charakteristikum, wenn man durch eine Stadt läuft. Man guckt und behält eigentlich immer nur vielleicht jedes dritte Bild. Zu der visuellen Wahrnehmung kommen noch die akustischen Eindrücke, der Geruchssinn wird schon mal bis zur Schmerzgrenze gereizt... Daraus entsteht eine Gemengelage, die nicht gegenständlich umzusetzen ist, obwohl sie der Gegenständlichkeit verhaftet ist. 

Robert Kudielka: Das führt dazu, dass wir im Nachhinein oft Eindrücke genauer erinnern, als wir sie unmittelbar wahrzunehmen vermochten. Die Fotografie schafft da ein interessantes Problem, da sie ja einen Moment fixiert. Francis Bacon hat seine Benutzung von Fotografien damit erklärt, dass er diese Souvenirs brauche, um sie „zur Erscheinung zu entstellen“ (to deform into appearance), das heißt: um das eingefrorene, gestellte Bild wieder in eine lebendige Erscheinung zu verwandeln. In gewisser Weise scheinen mir Ihre Bilder ein solches Äquivalent zum tatsächlichen Erlebnis einer Landschaft darzustellen. 

Katharina Worring: So etwa. Ich weiß am Anfang nie, wie ein Bild zum Schluss aussieht. Es bleibt immer nur eine Spur von etwas. Aber es erinnert immer auch an etwas, lässt Assoziationen zu. 

Robert Kudielka: Vorhin haben Sie gesagt, dass Sie beim Aneinanderfügen Ihrer Tafeln oft den Wunsch oder die Idee haben, immer noch eine dazuzusetzen. Offensichtlich gehört das ja zu dieser zuinnerst beweglichen, raumzeitlichen Erfahrung, dass sie nie völlig abschließbar ist, sondern eben nur als offene in den Grenzen eines Bildes formuliert werden kann. 

Katharina Worring: Damit geht eine sehr große Unsicherheit einher. Vor allem an den großen Bildern arbeite ich oft sehr lange. Letztlich könnte man bei vielen weitermachen, sie weiterdenken, man kann es aber auch lassen. Es ist die Frage, die nicht nur ich mir stelle: Wann ist ein Bild fertig? Es gibt natürlich Momente, wo ich das Gefühl habe, jetzt sollte ich nichts mehr machen, wie bei einer These, die ausreichend formuliert ist: mehr Worte würden nichts verdeutlichen. Das ist auch materialabhängig. Beim Arbeiten auf Papier habe ich eine größere Lockerheit, etwas stehen zu lassen oder früher aufzuhören. Bei den Leinwänden ist das schwieriger. Es gibt diesen Punkt, an dem ich sage: Schluss. Aber es passiert mir auch, dass ich ein Bild zur Seite stelle, um es trocknen zu lassen – und es dann beim erneuten Betrachten als fertig ansehe. 

Robert Kudielka: Ich habe vor Jahren einmal Jasper Johns gefragt, wann für ihn ein Bild fertig sei. Nach einer der gefürchteten langen Pausen, die er Gesprächspartnern zumutet, wenn er eine Frage mit Bedacht zu beantworten sucht, hat er gesagt: „Ein Bild ist für mich fertig, wenn ich das Gefühl habe, dass ich zum Zuschauer (onlooker) meiner Arbeit geworden bin.“ 

Katharina Worring: Das ist eine gute Antwort. Solange man im Prozess des Machens drin ist, ist man in gewisser Weise distanzlos, man bewegt sich in der Bildwirklichkeit und nicht in der tatsächlichen Wirklichkeit. Wenn diese Distanz aufkommt, dann nähert sich ein Bild dem Ende. 

Robert Kudielka: Bildwirklichkeit – da möchte ich noch einmal nachfragen. Ihre Bilder sind oft sehr differenziert in ihrer Materialität: transparent oder deckend mit dem Pinsel vorgetragen, gewischt, gekratzt, gespachtelt usf. Ist diese materielltaktile Qualität wichtig für Sie? 

Katharina Worring: Es ist eine Möglichkeit, größere Differenziertheit in ein Bild zu bringen, eine Spannung von den eher seltenen, fast transparenten zu den pastosen Flächen. Man hat einfach eine Bandbreite, die dann auch in sich arbeitet ……….. Bei einigen von den hier ausgestellten Arbeiten habe ich zum Beispiel entdeckt, dass die prominente Verwendung von Weiß, Titanweiß, eine bestimmte Künstlichkeit ins Bild bringen kann. Dass ungemischte Weiß verhält sich anders als die Buntfarben, es erinnert an nichts, und das kam meiner Intention näher. 

Robert Kudielka: Das ist, glaube ich, ein entscheidender Punkt. Ihre „Erinnerten Landschaften“ – um einmal den Titel der Ausstellung zu zitieren – geben ja nicht den tatsächlichen Landschaftsraum wieder, in gegenständlicher Hinsicht nicht und auch nicht als farbige Assoziation. Dazu müsste sehr viel mehr Blau in den Bildern sein. Die tragende Funktion des Helldunkel-Kontrasts schafft vielmehr einen spezifischen Bild- raum, eine Tiefenwirkung in der Fläche. Dass die Herstellung einer Helldunkel- Ordnung unter den Farben Räumlichkeit im Bild hervorruft, ist eine der ältesten Erkenntnisse der europäischen Malerei. Aber im Zuge der modernen Verzeitlichung der Raumwahrnehmung scheint die feste traditionelle Ordnung nach Vorder-, Mittel- und Hintergrund weitgehend einer beweglichen Auffassung der Bildebenen gewichen. In dem bereits angesprochenen mehrteiligen Bild im Nebenraum gibt es keine eindeutige Festlegung mehr, was vorn und hinten, Grund und Zeichen ist. Die räumlichen Ebenen ändern ihre Lage je nach Ausdehnung, Dichte, Zeichnung und Umfeld relativ unabhängig von der jeweiligen Helligkeit oder Dunkelheit der Farbe. Eine helle Form oder Spur kann in einem Zusammenhang scheinbar vor einem dunklen Untergrund stehen, aber derselbe dunkle Farbton kann in einer anderen Konstellation genauso gut über einer hellen Fläche schweben. So entsteht eine durchgängige räumliche Schwingung von „Davor“ und „Dahinter“, ein Pulsieren, das unser Sehen unwillkürlich in Bewegung hält. 

Katharina Worring: Es gibt keine Sicherheit, wo der Betrachter sich in diesem Bildraum befindet. Das Bild spielt mit einem. Alles ist in Bewegung und erzeugt eine gewisse Unsicherheit. Es gibt Wege, wie man sich durchgucken kann, aber man weiß nie, wo man ankommt. Es gibt weder ein Ziel noch einen festen Ausgangspunkt, man kann überall irgendwo rein gehen. 

Robert Kudielka: Wenn das gut organisiert ist, ist die Unsicherheit, von der Sie sprechen, ein Vergnügen. Ähnlich wie die Freiheit, wenn ich durch eine Landschaft streife und mal dieses und mal jenes wahrnehme – und gelegentlich die Richtung wechsle, ohne dass ich mich dabei verlaufe. ........................ 

 

Das Gespräch fand am 12. Februar 2015 in der Galerie Parterre Berlin während der Ausstellung „Erinnerte Landschaft“ statt. 

Zur Ausstellung erschien ein Katalog

* Robert Kudielka studierte 1967 - 1972 Philosophie, Germanistik und Graezistik an der Universität Tübingen, Promotion über Kants Kritik der Urteilskraft. 1968 - 1978 freischaffender Kunstkritiker und Kurator. 1978 - 2010 Professor für Ästethik und Theorie der Kunst an der Hochschule, nachmals Universität der Künste Berlin. Gastprofessuren in England und Brasilien, Organisation von Ausstellungen und Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Künstlern in internationalen Workshops. Zahlreiche Publikationen zur Kunstgeschichte, insbesondere zur Kunst der Moderne. Seit 1996 Mitglied der Berliner Akademie der Künste, deren Sektion Bildende Kunst er 2003- 2012 als Direktor leitete.

 

TB VII, 2016 Öl/Leinwand 120cm x 300cm

TB II , 2015 Öl/ Leinwand 300 x 130cm

TB III, 2015 Öl/Leinwand 100x 210cm (dreiteilig)

TB IV, 2015 Öl/Leinwand 120x 300cm

LSC XXVIII  2013/14  105cm x 260cm   Öl/Leinwand (zweiteilig)

W VII, 2015  120cm x 400cm  Öl/Leinwand (vierteilig)

                                                                                                                                 LSC  XXIX  2014    Öl/Leinwand  50 x 60cm

LSC XVI  2013  100 x 360cm   Öl/ Kohle/ Leinwand (vierteilig)

                                             LSC XX 2013  Öl/ Leinwand  105 x 170cm

LSC XV (vierteilig) 2012  Ö/ Leinwand 150x 320cm

                                                                                    LSC VIII 2012   Öl/ Leinwand  120 x 140cm 

LSC VII,2009  Öl/Leinwand (dreiteilig)

                                                                                               LSC X, 2012    Öl/ Leinwand.   105 x 130cm

                                                               LSC IX 2011 Öl/Leinwand 135 x 170cm 

Ausstellungsansicht  LSC IV 2009 Öl/Leinwand 240 x 150cm